Hast Du auch manchmal den Wunsch, jemanden zu korrigieren? Mir ist das schon ziemlich oft passiert. Jemand sagt etwas und schon beginnt mein Gehirn den Check: Stimmt das? Auf welche Quellen bezieht sich die andere Person? Was weiß und denke ich darüber? In vielen Fällen komme ich zu dem Schluss, dass mein Gegenüber nicht das gesagt hat, was mir richtig erscheint. Sollen wir nun miteinander diskutieren oder einfach akzeptieren, dass es verschiedene Wahrheiten gibt?
Ein Bekannter bemängelte kürzlich, er fände es ärgerlich, dass die Leute gar nicht mehr an Diskussionen interessiert seien: „Da heißt es dann nur: So sehe ich das halt, du kannst es ja anders sehen“. Man käme mit einer solchen Haltung nie zu einem Konsens, befand er. Zumindest ein „Ich verstehe, wie Du das siehst“ könne man mit einem Gespräch doch erreichen. Kann man? Einerseits hat mein Bekannter ja Recht, wenn er sagt: Wir erfahren nur dann voneinander, wenn wir reden. Wir haben nur dann die Chance auf eine Einigung, wenn wir diskutieren. Wir können Konflikte nur beilegen, wenn wir einander zuhören. Andererseits: Jeder hat ein Recht auf seine eigene Wahrheit. Was nun? Der Punkt ist vielleicht:
Habe ich es mit einem Gesprächspartner oder einem Gesprächsgegner zu tun?
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Der Gesprächspartner begegnet uns in einer wertschätzenden Grundhaltung. Er ist sicher, dass das, was der Andere zu sagen hat, dieselbe Berechtigung besitzt wie seine eigenen Ansichten. Mit dem Gesprächspartner kann man Argumente austauschen, Fragen nachgehen und gemeinsam über ein Thema nachdenken. Er hört zu und lässt sein Gegenüber aussprechen.
- Der Gesprächsgegner hält seine Sichtweise für die einzig gültige und sich – zumindest in diesem Bereich – für überlegen. Er möchte sein Wissen vermitteln oder seine Expertise unter Beweis stellen, vielleicht auch nur Bestätigung erfahren oder die Atmosphäre durch eine aufgeregte Debatte anregen. Er hört nicht gerne zu und spricht oft einfach nur lauter, wenn jemand ihn zu korrigieren versucht.
Unter Gesprächspartnern macht eine Diskussion Sinn, denn wir können uns gegenseitig bereichern, unser Wissen erweitern und neue Ideen entwickeln. Wir rücken einander vielleicht sogar näher, auch wenn wir nicht zu einem Konsens kommen. Frei nach dem Motto: „Ich kann meine Sichtweise anbieten und deine respektieren, selbst wenn wir ganz unterschiedliche Positionen vertreten.“ Haben wir es jedoch mit einem Gesprächsgegner zu tun, der eigentlich gar nicht an dem interessiert ist, was wir denken, wissen oder beitragen möchten, ist ein Gespräch kaum fruchtbar.
Ich habe mich früher öfter dabei ertappt, auch mit solchen Menschen Diskussionen zu führen. Der Grund dafür war das Gefühl in der Verantwortung dafür zu sein, mein Wissen, meine Gedankengänge anderen zugänglich zu machen. Nur: Wie komme ich denn darauf, dass andere meiner Wahrheit bedürfen, obwohl sie deutlich klar gemacht haben, dass sie daran überhaupt nicht interessiert sind? Mir wurde klar: Dass ist ein Aneignen fremder Verantwortung. Übergriffig eigentlich, denn der andere Mensch wehrt sich ja dagegen. Vielleicht hast du solche Gespräche auch schon geführt und erinnerst dich, wie anstrengend das sein kann, wie erschöpft und frustriert man daraus hervorgeht.
Ich wünsche dir, dass du dir dieselbe Erfahrung erlauben kannst, die ich gemacht habe: Die, wie entspannend und wohltuend es sein kann, Menschen möglichst urteilsfrei ihre Ansichten vertreten zu lassen und ihnen zuzugestehen, dass Sie sich selbst die Informationen einholen können, die sie haben möchten. Wenn ich andere als mündige Persönlichkeiten ernstnehme, dann beinhaltet das auch, dass ich ihnen zutraue, ohne meine ja gar nicht erbetene Unterstützung auszukommen.
Foto: Leeroy
„Willst du hören, wie ich darüber denke?“
Das ist eine einfache Frage, die wir unseren Mitmenschen stellen können, bevor wir uns einbringen. Wenn die Antwort nein lautet, wenn mein Gegenüber schon gar nicht wissen möchte, was meine Sicht der Dinge ist, ist das Unterfangen ohnehin sinnlos. Und was wenn ich gehört werden will von denen, die sich mit ihren Aussagen gegen meine Werte richten? Vielleicht muss ich mich fragen warum es mir wichtig ist, dass diese Menschen mich hören, obwohl sie deutlich gemacht haben, dass sie das gar nicht wollen. Geht es dabei um die Hoffnung zu einer Person durchzudringen, die gar nicht aufnahmebereit ist? Hier gilt es, abzuwägen: Ist es mir so wichtig dass es mir den Kraftaufwand wert ist, obwohl die Chancen minimal sind – oder kann ich an anderer Stelle damit viel mehr bewirken? „Ich möchte das nicht hören“ dürften wir auch selbst sagen.